DIE MACHT DER GEWOHNHEIT

Gewohnheit macht den Fehler schön.
Christian Fürchtegott Gellert

I.
Gewöhnliche Menschen haben für gewöhnlich
für gewöhnliche Menschen nichts übrig.
Und umgekehrt.
Gewöhnliche Menschen finden es ungewöhnlich,
daß man sie ungewöhnlich findet.
Schon sind sie keine gewöhnlichen Menschen mehr.
Und umgekehrt.
II.
Daß man sich an alles gewöhnt,
daran gewöhnt man sich.
Man nennt das gewöhnlich
einen Lernprozess.
III.
Es ist schmerzlich,
wenn der gewohnte Schmerz ausbleibt.
Wie müde ist das aufgeweckte Gemüt
seiner Aufgewecktheit!
Der einfache Mensch da z.B. findet es schwierig,
ein einfacher Mensch zu sein,
während jene komplexe Persönlichkeit
ihre Schwierigkeiten herleitet
wie die Betschwester den Rosenkranz.
Überall diese ewigen Anfänger,
die längst am Ende sind.
Auch der Haß ist eine liebe Gewohnheit.
IV.
Das noch nie Dagewesene
sind wir gewohnt.
Das noch nie Dagewesene
ist ein Gewohnheitsrecht.
Ein Gewohnheitstier
trifft an der gewohnten Ecke
einen Gewohnheitsverbrecher.
Eine unerhörte Begebenheit.
Die gewöhnliche Scheiße.
Die Klassiker waren gewöhnt,
Novellen daraus zu machen.
V.
Sanft ruhet die Gewohnheit der Macht
auf der Macht der Gewohnheit.

Hans Magnus Enzensberger

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